Das schon an sich so trübe Fußballjahr 2020 brachte uns eine weitere bittere Nachricht. Diego Maradona ist nicht mehr. Dieser große kleine Mann hat sich wie kaum eine andere Fußballikone dafür angeboten, in der ersten Lebenshälfte abgöttisch verehrt und im zweiten Lebensabschnitt mit Häme und Spott übergossen zu werden. Beide Hälften gehörten aber zu einem Körper, aus dem nun eine Seele aufgestiegen ist. Traurig und dankbar blicken wir ihr nach!
Unsere Waldviertler Welt Anfang der Achtzigerjahre, in welcher ich als Jugendlicher dem Erwachsenwerden entgegenstolperte, war vom Zauber oder Fluch der Globalisierung in etwa so weit entfernt wie ich vom Stadion „La Bombanera“ der Boca Juniors in Buenos Aires. Das Fenster zur großen Welt wurde höchstens vom Monopolisten ORF einen Spalt weit geöffnet, und so konnten dann und wann auch internationale Stars zu uns hindurchschlüpfen: Muhammed Ali, Wayne Gretzky, Björn Borg – und ein kleiner Gaucho namens Diego Armando Maradona.
Wenn wir Buben auf der “Kyllik-Wiese“, auf welchem später ein Getränkelager errichtet wurde, zu fünft gegeneinander auf ein einziges selbst gezimmertes Tor spielten, taten wir dies mit einer nur Halbwüchsigen aus der Provinz innewohnenden Grandezza. In einer Zeit lange vor dem Merchandising-Overkill prangten auf unseren dünnen weißen Turnleiberln selbstgemalte Nummern. Die Acht stand selbstredend für Herbert Prohaska, die Neun allerklarester Weise für Hans Krankl – und die Zehn ohne den geringsten Zweifel für Maradona.
Es war Anfang der Achtziger, als auch die österreichischen Medien vermehrt über einen argentinischen Nachwuchsstar zu berichten begannen. Das österreichische Nationalteam kam am 21. Mai 1980 erstmals leibhaftig mit ihm in Berührung – und ging im Praterstadion mit 1:5 unter. Diego schenkte uns drei Tore ein. „Eine Madonna des Fußballs“, wie der damalige Kommentator (Robert Seeger?) geschickt assoziierte. Der weitere Werdegang des Argentiniers füllt ganze Fußballarchive. Der Gipfel war im Sommer 1986 erreicht. In jener Zeit maturierte ich und erlebte als frisch Gereifter die Hand Gottes und den daraus resultierenden Weltmeistertitel nur durch einen dicken Schleier exzessiver Partyräusche mit. Danach mischte Diego die italienische Szene auf und führte die marode Fußballstadt Neapel in nie erhoffte Fußballhöhen.
Spätestens aber am Fuße des Vesuvs wendete sich das Schicksal Maradonas. Wie viele andere große Künstler hielt er den Einflüssen außerhalb der großen Bühne, dem gefährlichen Mix aus Drogen, Alkohol und Größenwahn, nicht stand und schlitterte zunehmend in die zweite, dunklere Spielhälfte. 1990 hätte er beinahe den WM-Titel wiederholt, doch die ihn umgebenden Teamkollegen waren eher Maurer als Zauberer und mussten sich den Deutschen im Finale geschlagen geben. Bei der WM 1994, als es schon längst bergab ging mit Diego, schwang er sich vermeintlich noch einmal zu einem neuen Höhepunkt auf. Im Spiel gegen Nigeria faszinierte er wie eh und je und bleckte nach einem genialen Spielzug die Zähne in die Kamera wie ein tollwütiges Pferd. „Na seavas“, dachte ich, und es wurde mir sehr bang. Einen Tag später wurde er wegen Ephedrin-Abusus vom Turnier verbannt.
Der Rest der Geschichte wird von regelmäßigen Momentaufnahmen überschattet, welche die unbarmherzige Informationsgesellschaft genüsslich über den Erdball ausrollte und damit den hilflos-schwachen Maradona beständig der Lächerlichkeit preisgab. Es tat weh hinzuschauen. Man ahnte, was kommen würde, man hoffte aber immer auf eine günstige Spielwendung. Zu dieser ist es im irdischen Leben nicht mehr gekommen. Wir wünschen Dir andernorts eine glückliche dritte Spielhälfte. Adios, Diego!