Maradona, 2020, Pelé, 2022, die letzten wahren Könige des Fußballs verließen unsere kleine Welt und jetzt, 2024, ist auch noch der Kaiser dahingeschieden! Keine gute Zeit für Fußballmonarchen! Franz Beckenbauer ist entschlummert, die Lichtgestalt des Fußballs hat sich ins Dunkel zurückgezogen. Bei all seinen Meriten und Verfehlungen wird eine Tatsache auf ewige Zeiten herausragen: Franz Beckenbauer ist – mit Mario Zagallo (der zwei Tage vor ihm gestorben ist) und Didier Deschamps – nur einer von dreien, der sowohl als Spieler, als auch als Trainer Weltmeister geworden ist.
20 – 22 – 24! Biennalsprünge des Unheils! Wenn der Sensenmann weiter so auf dem grünen Rasen wütet, gehen uns am Ende noch die Fußballidole aus, in einer ohnehin bereits orientierungslosen Gesellschaft! Zidane, zu brutal! Gascoigne, zu durchgeknallt! Ribéry, zu liederlich! Toni Polster, zu eitel! Für unsere Generation – der Generation 60+ – bleibt dann als schillerndste Figur des Weltfußballs nur mehr Pierluigi Collina, und der war Schiedsrichter. Noch Fragen?
Doch selbst der Kaiser hatte Fehler. Er brauchte kein Kokain wie Maradona und eine Viagra-Kampagne wie bei Pele wäre bei Beckenbauer unglaubwürdig gewesen. Seine Droge war die Macht! Kaiserlich, halt! Doch was haben wir in der Schule in Literatur gelernt? Trenne den Dichter vom Werk! Keine einzige Zeile könnte ich vom großen Heimito von Doderer lesen, wenn ich ihn nach seinen unappetitlichen sexuellen Vorlieben beurteilen würde. Privat vielleicht ein Monstrum, als Schriftsteller ein Meister, wie es nur wenige gibt. Also trennen wir den Kaiser vom Spiel und wenden uns wieder dem zu, was er dem Spiel gegeben hat.
Franz Beckenbauer hat in einer Zeit, wo das Sliding Tackling erfunden wurde, den Libero erfunden. Der Libero ist ein Abwehrspieler ohne unmittelbaren Gegenspieler, der sich aber auch ins Angriffsspiel einschaltet, sagt der Duden. Diese Erklärung könnte jedoch von Beckenbauer selbst stammen, so vollständig hat er diese Rolle ausgefüllt. Während die anderen grätschten und im Dreck herumwühlten, schwebte der Kaiser mit sauberem Trikot über den Rasen und nutze seine Freiheiten, um Spiele zu gestalten und zu entscheiden. Nicht unerwähnt in diesem Zusammenhang darf sein eleganter Außenristpass bleiben, den wir als Buben alle versuchten nachzuahmen. Wir hassten die Deutschen, aber wir bewunderten Franz Beckenbauer.
Talent braucht immer auch Glück, damit Großes entstehen kann. Und Beckenbauer war bis zum Tod seines Sohnes das sprichwörtliche Glückskind. Alles ging ihm leicht von der Hand und vom Fuß. Die Legende erzählt, dass das bis tief ins Privatleben hineinreichte. So soll er einst in einen überfüllten Zug eingestiegen sein, die erste Abteiltür geöffnet, einen einzigen freien Platz vorgefunden und sich einfach niedergesetzt haben. Das war typisch für ihn. Wenn Farnberger & Simon gemeinsam mit dem Auto unterwegs sind und am Zielort einen Parkplatz vorfinden, ohne mehrmals um den Block kreisen zu müssen, stellen sie das Fahrzeug ab, blicken sich wissend an und sagen: „Beckenbauer!“ Heute noch!
Bei all dem Unheil und den Vorwürfen, mit denen der Kaiser im letzten Drittel seines Lebens konfrontiert war, bleibt mir vor allem ein Bild in Erinnerung, als er nach dem Gewinn des Weltmeistertitels 1990 im römischen Stadio Olimpico unter knapp 75.000 Menschen die Einsamkeit suchte und sie auf dem Rasen fand. Gleichsam der Welt entrückt, schlenderte er mit der umgehängten WM-Medaille über den Rasen, eine Allegorie der inneren Einkehr und Zufriedenheit. So möchten wir Franz Beckenbauer auf ewig in Erinnerung behalten!