EM Spieltag 10: Der Deutsche ist kein Italiener

In wenigen Stunden wissen wir, ob der EM-Traum Österreichs geplatzt ist oder noch einige Tage weitergeht. Vor dem Schicksalsspiel gegen die Ukraine aber noch eine recht scharfe Replik auf den hymnischen Lobgesang meines Co-Autors Gerald Simon auf die jüngste Leistung des Turnierteilnehmers Deutschland. Vorab: Italiener san‘ s kane!
Gerald Simon ist an sich ein sympathischer Kerl. Uns verbindet viel miteinander, unter anderem auch die tiefe Abneigung gegen den österreichischen Ski- und den deutschen Fußball-Chauvinismus. Dachte ich! Bis gestern! Denn Simons Nachbetrachtung des Spiels Deutschland gegen Portugal geriet zu einer Lobhudelei des germanischen Rasensports im längst überwunden geglaubten Stile eines Gerd Rubenbauers oder Waldemar Hartmanns. Was hat Sportfreund Simon nur gesehen? Im Vorfeld des Spiels wusste man ja, dass der Deutsche dem Portugiesen nicht liegt und erahnte daher schon einen recht klaren, aber für den Fortlauf des Turniers wenig aussagekräftigen Spielausgang.
Ich selbst sah eine von Beginn an wütend und auf Teufel komm raus anstürmende LÖWen-Elf (Achtung, Wortspiel!). Immer offensiver gerierten sich die Mannen Jogis, selbst der mit einer Gladiatorenmaske bewehrte Verteidiger Antonio Rüdiger stand meist dort, wo früher Gerd Müller weilte. Prompt bekamen die Deutschen die Rechnung präsentiert und fingen sich das 0:1 ein. Jede aktuell halbwegs formstabile Mannschaft wäre mit dieser unverhofften Führung besser umgegangen als die in der Abwehr desaströsen Portugiesen. Es sei durchaus anerkannt, dass die deutschen Offensivspieler in der Folge schöne Spielzüge hervorbrachten, wobei m. E. aber ein Tor wegen Abseitsvergehens im Spielaufbau nicht gegeben hätte werden dürfen. Das zwischenzeitliche 4:1 roch nach deutschem Totaltriumph. Wieder aber wackelte die teutonische Abwehr, und schon stand es nur mehr 4:2, ein Lattentreffer verhinderte eine weitere Verkürzung. Ab der 75. Spielminute stolperten die deutschen Recken krampfgeplagt und volllädiert über das Spielfeld. Ein besserer Gegner hätte diese finale Kollektivschwäche durchaus besser ausnützen können.
Italien hingegen überwand gestern die Schallmauer von 1000 torfreien Spielminuten. Im Unterschied zu Deutschland zählen sie für mich zu den absoluten Turnierfavoriten. Ein Treppenwitz der Fußballgeschichte ist übrigens, dass wir – bei einem etwaigen Weiterkommen – sowohl auf die eine als auch die andere Mannschaft treffen könnten.

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